Panta rhei
Gedanken zur Serie
Meine künstlerische Arbeit der letzten Jahre konzentriert sich auf einen figurativen Themenkreis im Format 1 x 1m, Acryl auf Leinwand mit dem Titel „Panta rhei“. Dieser Titel (Alles fließt) geht auf den griechischen Philosophen Heraklit zurück, der das Leben mit einem Fluss vergleicht. Wenn man zum zweiten Mal in einem Fluss badet, ist es der gleiche Fluss, aber nicht derselbe. Es ist immer anderes Wasser vorhanden. Es wurden bis dato über 160 Bilder dieser Art gemalt.
In einem imaginären Raumgefüge sind formale Bildelemente eingebunden, die Assoziationen an Menschen, Tiere und Vegetation ermöglichen. Dabei werden materielle Grenzen oft überschritten, so dass es zum Beispiel zu tiermenschlichen Erscheinungsformen kommen kann, die mythologisch gedeutet werden können.
Einerseits werden durch stark farbkontrastierende und lineare Bewegungselemente Aktionen konzipiert, die häufig zu Konfrontationen führen, andererseits entsteht, in Verbindung mit dem Raumgefüge, eine Harmonisierung, die geeignet ist Dissonanzen auszugleichen.
So bietet sich die Bildfläche als kleines Welttheater dar, in dem der Mensch mit Fauna und Flora einen gemeinsamen Lebensraum bildet, in dem sich jedes Element frei entfalten kann, aber auch fließende Übergänge möglich sind. Zumeist erweist sich aber der Mensch als ordnende Kraft.
Ich habe kein vorgegebenes Konzept, keine Vorzeichnung, nichts im Kopf, keinen Anlass, kein Thema. Ich beginne mit einem breiten Flachpinsel und einer Grundfarbe, oft Gelb. Eine zweite Farbe kommt hinzu, dann eine dritte. Es entsteht ein Farbklang, es entstehen Schwerpunkte, Kontraste, Richtungen und Bewegungen, nicht mit der Hand gemalt, sondern mit dem ganzen Körper. Bis dahin ist alles abstrakt und das Bild enthält noch mehr oder weniger weiße Flächen. Aber ich will ja kein abstraktes Bild malen. Was will ich denn eigentlich? Im Hinterkopf habe ich meine anonymen Figuren, die mich nicht loslassen, die Tiere, die Pflanzen, Wasser und Land, Mythologie und Realität, Tag und Nacht, Bewegung und Ruhe, kurz: Das Leben.
Die abstrakte Malerei treibe ich so weit, bis sich eine Assoziation ergibt, bis ich Formen glaube zu sehen, die über das Informelle hinaus gehen. Darauf lasse ich mich ein. Meist folgt danach eine Phase mit dunklen Strichen, mit denen ich das Erkannte fasse. Es geht dann oft schnell, eins kommt zum anderen. Es ist ein ständiges Wechselspiel zwischen Farben, Formen, Bewegungen, Hell-Dunkel, eine kompositorische Herausforderung. Meist wird alles in einem Zug fertig. Es kann aber auch passieren, dass das Ergebnis unbefriedigend ist und auch nach Änderungen unbefriedigend bleibt. Dann beginnt ein unter Umständen wochenlanges Jonglieren mit den bildnerischen Gestaltungsmitteln. Aber was ist da eigentlich
inhaltlich entstanden? Bevor das Bild dem Stapel von weit über einhundert Gemälden im Format 1 x 1 Meter zugeordnet wird, muss noch ein Bildtitel gefunden werden. Ich mag absolut keine Titel wie „ohne Titel“ oder „Komposition xy“. Besucher in Ausstellungen sind dankbar, wenn sie sich auf das Bild einlassen wollen, auf diese Weise einen Einstieg zu finden. Ein gutes Bild ist nicht banale Dekoration, sondern teilt sich mit. Auf der ungezwungenen Suche nach einer gegenständlichen Assoziation werde ich oder werden andere Betrachter in der Regel fündig. Ich habe Bilder, die ich besonders liebe, zeitweise oder für immer. Aber richtig spannend wird es erst wieder beim Schaffen eines neuen Bildes, wenn alles von vorne anfängt.
All diesen Bildern, die das gleiche Format haben, die gleiche Entstehungsgeschichte, den gleichen Abstraktionsgrad und ähnliche Versatzstücke, also die Bilderserie insgesamt, nenne ich seit einigen Jahren „panta rhei“, griechisch πάντα ῥεῖ, „Alles fließt“. Der griechische Philosoph Heraklit, auf den dieser Spruch zurückgeht, verglich das Sein mit einem Fluss, indem er sagte, niemand könne zweimal in denselben Fluss steigen.
Diese Bilderserie ist im wahrsten Sinne des Wortes fließend. Das trifft auf jeden Bildinhalt wie auch auf eine Reihung dieser Bilder zu. Bis jetzt konnte ich mehrfach 30 bis 40 dieser Gemälde in Ausstellungen zeigen, einmal in langen Bändern und sehr dicht nebeneinander. Erst dachte ich, die Besucher werden erschlagen von dieser Bilderflut und man kann keinem einzelnen Bild gerecht werden. Man muss einen gewissen Abstand halten, wenn man die Bilder ganz erfassen will. Bei dieser Ausstellung war das zwar möglich, aber man sah dann auch gleichzeitig die Bilder rechts und links daneben. Der Blick wanderte von einem Bild zum nächsten und so weiter. Es war für mich eine überraschende Erkenntnis, die mich noch mehr darin bestärkte, dass alles fließt. Hinzu kommt noch, dass die Bilder eigentlich nicht das sind, was der Titel verspricht. Sie sind nicht eindeutig das benannte „XY“, sie sind das SEIN, das Leben an sich, das Werden und Vergehen. Die Bilder sind ich und du,
ALLE und ALLES. Ein hoher Anspruch, nein, keine Vermessenheit, keine Berechnung, nur aus dem Inneren geschaffen. Die Bilder sind keine Abbilder der Oberfläche unseres Lebens, der sogenannten Wirklichkeit. Sie gehen tiefer und offenbaren wesentliche Zusammenhänge unserer Welt.